Immer wieder stoße ich bei Hundehaltern und auch bei mir selbst auf das Gefühl, dass es wichtig sei, dem Hund auch mal sagen zu müssen, was falsch ist. Es ist zwar in Ordnung ein gutes Verhalten auch mal zu belohnen, aber der Hund muss schließlich auch wissen, was falsch ist.
Weit verbreitet ist auch die Annahme, dass Strafe im lerntheoretischen Sinn (etwas Unangenehmes kommt hinzu oder etwas Angestrebtes wird nicht erreicht) schneller wirke und so schneller gelernt würde. Wobei es dann eigentlich heißen müsste, dass unerwünschtes Verhalten unterlassen wird.
Ich frage mich häufig, was wohl hinter diesen tief verwurzelten Annahmen steckt und denke, dass diese Gedankengänge eine nähere Betrachtung verdienen.
Lerntheoretische Erkenntnisse
In der Forschung zur Lerntheorie ist schon seit etlicher Zeit erwiesen, dass Verhalten, das an angenehme Emotionen gekoppelt ist und mit einer Belohnungserwartung verbunden ist nachhaltiger gezeigt wird. Es wird freiwillig gerne gezeigt, ist leichter abrufbar und erinnerbar als Verhalten, das an negative Emotionen und eine Straferwartung geknüpft ist.
Außerdem ist ebenfalls bekannt, dass ein Verhalten das „mehr“ wird, anderes Verhalten verdrängt bzw. seltener macht. Zum Beispiel wird ein Hund, der gelernt hat, dass es sich lohnt bei einer Begrüßung mit allen vier Pfoten auf dem Boden zu bleiben, genau dies immer häufiger tun. Automatisch wird er dadurch seltener und mit der Zeit gar nicht mehr zur Begrüßung am Menschen hochspringen.
Eine Frage des Blickwinkels
Zum Einen sind wir alle in einer Welt und einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Aufmerksamkeit sehr stark auf dem Negativen liegt.
In der Schule werden die Kinder angesprochen, die laut sind und stören. Die Kinder, die konzentriert und ruhig arbeiten, werden meist nicht gelobt, da dies als Selbstverständlichkeit gewertet wird. Ein Vorgesetzter nimmt gute Leistungen als gegeben hin und wird häufig erst dann aktiv, wenn einer seiner Mitarbeiter einen Fehler gemacht hat. In den Nachrichten werden die schwierigen Tagesereignisse berichtet. Die Schlagzeilen werden von Betrug, Intrigen und Katastrophen dominiert. Nur selten wird von positiven Ereignissen ebenso ausführlich berichtet. Es müssen dann schon sehr außergewöhnliche Heldentaten sein; damit sie es in die Nachrichten schaffen.
Wir sind also alle sehr geübt darin, zu sehen, was uns nicht gefällt, was unvollkommen oder fehlerhaft ist. Im Schwäbischen gibt es ein Sprichwort, das mir in diesem Zusammenhang immer einfällt: „ ned gmeckert, isch gnuag globd“ („ nicht geschimpft, ist ausreichend gelobt“); weil es sehr gut beschreibt, dass gutes Verhalten als Selbstverständlichkeit gesehen wird, nicht beachtenswert scheint und schon gar nicht belohnt werden muss. Und das ist bei unseren Hunden genau dasselbe. Eine Begrüßung mit vier Pfoten am Boden ist selbstverständlich, eine lockere Leine ist selbstverständlich, eine freundliche Begrüßung eines anderen Hundes ist selbstverständlich usw.
Es fällt uns Menschen einfach schwer, diesen Blickwinkel zu verändern. Auch wenn die oben beschriebenen Erkenntnisse logisch klingen und wissenschaftlich erwiesen sind, fällt es den meisten Menschen schwer, umzulernen. Wir sind schlicht sehr ungeübt darin erwünschtes Verhalten zu bemerken und zu verstärken. Die meisten Menschen empfinden es zunächst als überflüssig „gutes Verhalten“ ihres Hundes zu belohnen, weil sie es als Selbstverständlichkeit sehen und somit gar nicht bewusst als gutes Verhalten wahrnehmen. Auch die Idee, dass es vor jedem unerwünschten Verhalten noch einen Augenblick gibt, in dem der Hund erwünschtes Verhalten zeigt, ist zunächst fremd. Es ist deshalb für Menschen zunächst ungewohnt und damit anstrengend, weil sie eine früh erworbene Gewohnheit ändern müssen, um ihren Blickwinkel dauerhaft zu verändern und automatisch das erwünschte Verhalten zu fokussieren. Es ist durchaus ein Übungsprozess für den Menschen erwünschtes Verhalten ihres Hundes zu erkennen und dieses so zu belohnen, dass es erhalten bleibt oder häufiger wird.
Über Strafe wird schneller gelernt
Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass Lernerfahrungen, die mit einer Belohnungserwartung und damit mit angenehmen Gefühlen verbunden sind, leichter erinnert werden, das Verhalten gerne wiederholt wird und somit nachhaltiger gelernt wird als bei Lernerfahrungen, bei denen durch die Erwartung einer Strafe Verhalten gehemmt oder unterdrückt wurde. Außerdem müssen beim Einsatz von Strafe etliche Regeln befolgt werden, damit sie greifen können. Diese Regeln sind komplex und anspruchsvoll, im Alltag kaum durchführbar. Wird Verhalten durch Strafe gehemmt, steigt das Erregungsniveau des Hundes an. Außerdem besteht immer die Gefahr einer Fehlverknüpfung: das bedeutet, alles, was der Hund in dem Moment wahrnimmt, in dem die Strafe erfolgt, könnte mit der Strafe verknüpft werden. Dennoch hält sich weit verbreitet unter Hundehaltern die Annahme, dass Lernen über Strafe schneller zum Erfolg führt. Warum ist das so?
Wer seinen Hund aktiv bei einer unerwünschten Handlung unterbricht, erhält eine direkt wahrnehmbare Verhaltensänderung in der aktuellen Situation. Wer z.B. seinem gerade sich im Güllefeld wälzenden Hund eine Wurfkette vor die Pfoten wirft, die diesen erschreckt, kann eindeutig erkennen, dass der Hund aufhört sich zu wälzen. Dies wirkt belohnend auf den Menschen. Seine Handlung hat etwas genützt und den gewünschten Erfolg gehabt. Der Hund hat in dieser Situation aufgehört sich zu wälzen. Die Verhaltensänderung innerhalb der Situation ist für den Hundehalter deutlich erkennbar. Wer seinen Hund für das Stehenbleiben am Rande des Güllefeldes belohnt, kann ja schließlich nie sicher sein, ob sich der Hund überhaupt gewälzt hätte. Der Hundehalter wird also aktiv, ohne dafür einen ersichtlichen Grund zu haben oder eine Art Leidensdruck zu verspüren. Dies empfinden viele Menschen als äußerst seltsam.
Auf der Verhaltensebene des Menschen hat sich im Lauf seiner Lebensgeschichte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Gewohnheit ausgebildet, sofort zu reagieren, wenn es gilt- insbesondere gegenüber anderen, denen man weisungsbefugt ist- etwas Unerwünschtes zu unterbinden. Menschen haben also Übung darin. Die Reaktionen und Handlungen laufen fast schon unbewusst und automatisch ab, ohne dass die Menschen noch wirklich darüber nachdenken. Eine Gewohnheit zu verändern ist nicht einfach. Dies bedarf einiger Zeit des Umdenkens und Umlernens und ist zunächst mit gewissen Anstrengungen und vermutlich auch Rückfällen verbunden.
Wann wurde etwas gelernt?
Meist bleibt eine Frage in Diskussionen, in denen behauptet wird, dass über Strafe schneller gelernt wird, unbeantwortet: Wann wurde ein Verhalten gelernt. In der Lerntheorie spricht man dann von erlerntem Verhalten, wenn eine dauerhafte Verhaltensänderung in einer bestimmten Situation auf Grund individueller Erfahrungen erfolgt. Abzugrenzen davon sind zufällige Verhaltensvariationen oder Verhaltensänderungen auf Grund anderer Ursachen wie z.B. Schmerzen, Alter, Witterungsbedingungen oder Verletzung.
Wie oben bereits dargelegt ist bei einer Strafe von unerwünschtem Verhalten häufig eine sofortige deutliche Reaktion des Hundes sichtbar. Dies fühlt sich für viele Menschen als erfolgreiche Intervention an. Erfolgreich im Sinne der lerntheoretischen Definition von Lernen, wäre die Strafeinwirkung nur dann, wenn das damit bestrafte Verhalten sofort unterbrochen UND auf Dauer seltener oder gar nicht mehr gezeigt würde. Bleiben wir bei unserem Beispiel des Hundes, der sich gerne im Güllefeld wälzt. Zunächst führt die geworfene Wurfkette dazu, dass der Hund das Wälzen unterbricht, was den Menschen in seinem Tun bestätigt. Häufig wird sich der Hund jedoch beim nächsten Mal wieder im Güllefeld wälzen, zumindest all die Hunde, die das Wälzen in lecker duftenden Feldern unwiderstehlich attraktiv finden. Also wird der Mensch erneut seine Wurfkette zücken und diese vor den Hund werfen und das Verhalten erneut unterbrechen. Vielleicht ist der Hund aber bereits soweit vorgelaufen, dass der Hundehalter mit der Wurfkette sein Ziel nicht mehr erreichen kann? Oder der Mensch war im Gespräch abgelenkt und sieht erst nach einiger Zeit, dass sein Hund sich gerade wälzt? Oder er wirft einfach ungeschickt und die Kette fliegt zu weit am Hund vorbei? In all diesen Momenten wird der Hund lernen, dass er sich doch wälzen und so sein Bedürfnis befriedigen kann. Und schließlich führt dies zu dem Ergebnis, dass der Mensch immer wieder seine Wurfkette werfen muss, weil der Hund sich immer mal wieder wälzt, wenn er ein Güllefeld findet. Der Wurfketteneinsatz hätte aber nur dann zu einem Lernerfolg geführt, wenn das Wälzen auf Dauer verschwinden würde. Wenn eine Strafe immer wieder erfolgen muss, ist sie aus lerntheoretischer Sicht nicht zielführend und sinnvoll, weil sie keinen langfristigen Erfolg bringt. Und nun stellt sich die Frage, ob es wirklich länger dauern würde, dem Hund über eine möglichst bedürfnisbefriedigende Belohnung beizubringen bei Sichtung eines Güllefeldes abzusitzen oder den Menschen an der Hand anzustupsen. Bei einem guten Timing durch den Menschen, einer passenden bedürfnisbefriedigenden Belohnung und einem durchdachten Trainingsaufbau vermutlich nicht. Die mangelnde Übung des Menschen, der zum ersten Mal so mit einem Hund arbeitet, wird den Lernprozess mitbestimmen und unter Umständen anfänglich langwieriger gestalten. Der Hund wird auf diese Weise jedoch lernen, dass es sich lohnt das Güllefeld seinem Menschen zu zeigen, während er bei der Unterbrechung durch die Wurfkette lernt, schneller im Güllefeld zu sein als der Mensch reagieren kann oder in ausreichend großer Entfernung.
Fazit
Menschen empfinden häufig, dass über Strafe schneller gelernt wird, weil
Dies entspricht zwar nicht den Erkenntnissen der Lerntheorie, die wissenschaftlich gut erforscht ist, aber es bildet sich so eine Diskrepanz zwischen den eigenen Lernerfahrungen, dem eigenen Empfinden und der wissenschaftlichen Erkenntnis. Dieser Zwiespalt ist nicht immer leicht auflösbar und es braucht einen gewissen Mut, sich auf neue Wege einzulassen. Es ist ein Prozess, ein Prozess des Umdenkens und Umlernens, der unter Umständen eine gewisse Zeit und einigen Energieaufwand in Anspruch nimmt. Dieser Prozess lohnt sich, wie ich aus eigener Erfahrung weiß und kann zu einem deutlich entspannteren und gelasseneren Umgang mit dem doch meist heißgeliebten Hund führen.
© Autorin Martina Maier-Schmid - entnommen aus dem Buch "Leben mit Hunden" erschienen April 2014 im Kynos-Verlag. Alle Rechte vorbehalten.