Autorin: Amira Sultan
Quelle: http://www.trainieren-statt-dominieren.de/artikel/dominanter-hund
Zu oft höre ich, sowohl während meiner Arbeit als Hundetrainerin, als auch und fast noch öfter in meiner privaten Zeit: „Das ist aber ein dominanter Hund!“. Oftmals wird dann auf Hunde gezeigt, die andere Hunde anknurren, nicht kommen, wenn man sie ruft oder sehr aufdringlich sind.
Erst neulich hatte ich eine Diskussion mit einer Frau, die der festen Überzeugung war, dass sie richtig gehandelt hat, als sie ihre sehr liebe und alte Hündin beim Tierarzt auf den Rücken drehte. Die Hündin habe schließlich geknurrt und das müsse mit dem sogenannten „Alphawurf“ bestraft werden.
Solche Aussagen stimmen mich traurig und machen mich wütend, denn oftmals wird ganz natürliches Hundeverhalten, wie zum Beispiel das Knurren der Hündin beim Tierarzt, bestraft, nur weil es den Menschen stört und er denkt, sein Hund sei dominant und müsse deswegen ordentlich bestraft und untergeordnet werden.
Aber was bedeutet Dominanz eigentlich? Warum lässt das landläufige Verständnis dieses Wortes zu, dass vielen Hunden Unrecht und Tag für Tag Leid angetan wird?
„Dominanz“ ist einer der am häufigsten missverstandenen Begriffe überhaupt. Fragt man zum Beispiel einen beliebigen Menschen auf der Straße, hört man oft: „Dominant ist der, der aggressiv ist“ oder „Der setzt sich halt immer durch“.
Im Gegensatz dazu steht aber die allgemeingültige, verhaltensbiologische Definition, die aussagt, dass Dominanz lediglich bedeutet, als erster Zugriff auf bestimmte Ressourcen (zum Beispiel begehrtes Futter, Liegeplätze, Spielzeug, Sexualpartner) zu haben und von anderen in der Gruppe respektiert zu werden. Der Zugriff auf Ressourcen ist dabei stark beziehungs- und situationsabhängig.
Wieso ist aber die Idee, dass ein Hund dominant ist, wenn er z.B. knurrt, schnappt, einen anderen Hund oder Menschen beißt, so allgegenwärtig?
Ursprünglich wurde der Begriff „Rangordnung“ und der damit eingehende Dominanzbegriff Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Norweger Schjelderup-Ebbe geprägt, der beobachet hatte, dass die Konkurrenz um das Futter bei Hühnern immer in einem bestimmten Muster abläuft. Das in der Rangordnung höchste und somit dominanteste Huhn „A“ hackte alle anderen Hühner weg, das „nächst höhere“ Huhn „B“ hackte alle weg außer „A“ usw. Die sogenannte „Hackordnung“ wurde dann ziemlich schnell auf alle möglichen Tiere übertragen, auch auf den Wolf und leider auch auf den Hund, weil der bekanntermaßen vom Wolf abstammt.
Schnell wurde die Auffassung des alles-bestimmenden Alpha-Wolfes bekannt und man
nahm schlichtweg an, dass man sich als Mensch in einer Hund-Mensch Beziehung so verhalten müsse, als wenn man der „Rudelführer“ sei. Konkret bedeutet das, dass man dem Hund keine Freiheiten zugestehen darf, ihn sogar unterdrücken soll, weil er ansonsten in der Rangordnung nach oben steigt und glaubt, er könne die ganze Familie erobern.
In dem Zusammenhang werden die merkwürdigsten Ratschläge erteilt, wie Mensch verhindert, dass er in der Rangordnung unter seinem Hund steht:
Denke ich daran, wie oft meine Hunde auf den Sofas schlafen, unabhängig von mir fressen und auch oft genug als Erster durch die Tür gehen, muss ich fast lachen bei dem Gedanken, dass sie deswegen dominant sein sollen und irgendwann versuchen werden, mich von meinem nicht vorhandenen Thron zu vertreiben, um selbst die Macht an sich zu reißen.
Mein Gefühl, dass es nicht stimmen kann, wenn jedes scheinbare „Verhaltensproblem“ mit mangelnder „Dominanz“ bzw. „Führung“ seitens des Besitzers begründet wird, wurde in den letzten Jahren auch durch Beobachtungen von frei lebenden Wolfsrudeln und Hundegruppen bestätigt.
Viele namhafte Biologen haben das Verhalten von Wölfen beobachtet und fanden keine Bestätigung einer festgelegten Hierarchie.
Nicht zuletzt David Mech betonte, dass Wölfe in einem Familienverband leben, der von der sozialen Organisation her einer Menschenfamilie recht ähnlich sei. Und in einer normal geführten Menschenfamilie gibt es keine Unterdrückung mit unrealistisch harten Regeln und gewaltsamer Umsetzung.
Noch komplizierter wird es, wenn man sich das Hund-Mensch-Gespann anguckt. Häufig werden aversive Trainingsmethoden, wie zum Beispiel „Schnauzengriff“, „Alphawurf“ oder „Flanken kneifen“ damit begründet, dass Hunde untereinander das auch machen würden, um unter anderem ihre Stärke zu beweisen. Was dabei verschwiegen wird, ist, dass häufig nicht die souveränen, sondern die unsicheren, gestressten Hunde aggressiv auf ihre Artgenossen reagieren und dann tatsächlich auch andere Hunde auf den Rücken legen. Als „dominanter Mensch“ möchten wir aber doch nicht unsicher erscheinen, oder?
Letztendlich ist das aber für das Leben mit meinem Hund schlichtweg irrelevant:
Ich bin kein Hund! Ich kann mir nicht hündische Gesten zu eigen machen, zu denen ich aus Timinggründen überhaupt nicht in der Lage bin und die ich womöglich nur zur Hälfte erfassen kann.
Ich bin ein Mensch und verfüge über kognitive Fähigkeiten, mit denen ich tatsächlich überlegen kann, warum sich mein Hund mir gegenüber so verhält, wie er es tut und wie ich sein Verhalten ändern kann, sodass niemand aus meiner Umwelt und erst recht nicht mein Hund Schaden davon trägt.
Auch die Frage nach dem Rudelführer in einer Mensch-Hund-Gruppe und im Mehrhundehaushalt ist überflüssig.
Anders als frei lebende Wölfe bilden frei lebende Hunde bei ausreichend vorhandenen Ressourcen keine Familienverbände, so wie es die Wölfe tun, sondern sie leben entweder alleine oder bilden Mehrhundegruppen. Diese Beobachtungen wurden unter anderem von Ray und Lorna Coppinger gemacht und zeigen, dass wir unseren heutigen Haushund auch in dieser Beziehung nicht mehr mit dem Wolf vergleichen können.
Doch wenn man Ungehorsam, Aggression und aufdringliches Verhalten nicht einfach damit begründen kann, dass mein Hund mich nicht ernst nimmt, woran kann es dann liegen?
Knurrt mein Hund mich zum Beispiel an, kann das verschiedene Gründe haben:
Es gibt viele Gründe, warum Hunde aggressiv reagieren können oder „ungehorsam“ sind. Woran man aber als letztes denken sollte, ist „dominantes Verhalten“ und die damit einhergehenden Konsequenzen für diesen Hund, denn es gibt viel bessere Wege und Möglichkeiten, Verhalten zu analysieren und dauerhaft zu verändern.
Für die Hündin, die den Tierarzt angeknurrt hat, kann das auch einfach nur heißen, dass sie Angst oder Schmerzen hatte. Ihr hätte man helfen können, indem man ihr vor dem Tierarztbesuch beibringt, unangenehme Dinge zu akzeptieren, sodass sie sich nicht so fühlt, als wenn sie sich verteidigen müsse.
Quellen:
Anders Hallgren „Das Alpha-Syndrom“
Barry Eaton „Dominanz Tatsache oder fixe Idee?“
Danke, dass ich diesen Artikel auf meiner Homepage einstellen darf, liebe Amira